Die Klimakrise, die Kriege in Afghanistan und Syrien und nicht zuletzt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind nur einige der aktuellen Herausforderungen der Weltgemeinschaft. Internationale und regionale Organisationen und Bündnisse wie die UN, die NATO oder die EU sind dabei neben den Nationalstaaten bedeutende Akteure in der internationalen Suche nach Lösungen für diese Probleme und Konflikte.
Ausgehend davon stellen sich eine Vielzahl von Fragen: Wie sieht eine internationale Friedens- und Sicherheitspolitik vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen und der Ost-West-Rivalität aus? Welche Bedeutung kommt der internationalen Strafgerichtsbarkeit zu? Gelingt es der internationalen Gemeinschaft, eine gemeinsame Antwort auf die Klimakrise zu finden? Und welche Rolle spielen dabei internationale und regionale Organisationen?
Rund 100 Politiklehrkräfte aus ganz Hessen kamen am 5. Oktober in die Evangelische Akademie Frankfurt/M., um über diese und weitere Fragen der Internationalen Beziehungen und ihrer Vermittlung zu diskutieren, Konzepte für den Unterricht auszutauschen und Methoden in Workshops kennenzulernen und zu erproben.
Prof. Dr. Johannes Varwick (Universität Halle-Wittenberg) skizzierte in einem Eröffnungsvortrag die These, dass Deutschland in der durch Krisen und Kriege veränderten internationalen (Un-)Ordnung seine Außen- und Sicherheitspolitik überdenken müsse. Er plädiert dafür, das Verständnis von Macht und Verantwortung, von Solidarität und Engagement, von Größe und Zurückhaltung in nationalen, europäischen und internationalen Zusammenhängen vor dem Hintergrund dieser „Zeitenwende“ grundlegend zu überdenken. Nach einer belebenden Diskussion konnten die Lehrkräfte in zwei Workshopphasen zwischen jeweils vier Workshops wählen:
Philipp Klingler und Fabian Welsch nahmen die Teilnehmenden auf einen ‚Crashkurs‘ zur Europäischen Union und ihrer Vermittlung mit: Von der Gurkenverordnung bis hin zum Institutionenlabyrinth wurden die Charakteristika der EU vorgestellt und die Potenziale der fachdidaktischen Vermittlung dieses politischen Systems im Mehrebenensystem anhand der Methoden der Concept Map und des Szenariorundgangs vorgestellt, erprobt und diskutiert.
Im Workshop „Sicherheitspolitik in einer prekären Weltordnung“ stellte Mona Klingenberg fallorientierte Unterrichtsmaterialen vor. Ein kollegialer Austausch in Kleingruppen bot die Möglichkeit, Ideen für die konkrete Umsetzung im Unterricht zu diskutieren und das Unterrichtmaterial einer kritischen Analyse zu unterziehen.
Im Politikunterricht der Komplexität und Kontroversität des israelisch-palästinensischen Konflikts gerecht zu werden, ist herausfordernd. Michael Sauer beschäftigt sich seit Jahren ausführlich mit der fachdidaktischen Vermittlung des Konflikts. Die Lehrkräfte erhielten Einblicke in seine Konzeptionen zum Unterrichtsgegenstand „Nahostkonflikt“. Darüber hinaus wurden konkrete Fragen zur Umsetzung sowie Adaption des Themas in verschiedenen Lerngruppen diskutiert.
Prof. Dr. Christina Brüning und Paul Scheidt beleuchteten in ihrem Workshop „Von Windhuk nach Auschwitz?” – Historisch-politisches Lernen in postkolonialer Perspektive“ ein unterrepräsentiertes Thema politisch-historischer Bildung: Nach dem Sammeln von Unterschieden und Gemeinsamkeiten des Kolonialismus und des Nationalsozialismus wurde die Streitfrage um die Einbettung der Shoah in eine Erzählung kolonialer Verbrechen in Bezug auf die Historiker Rothberg, Moses, Friedländer usw. vorgestellt, diskutiert und hinsichtlich einer möglichen unterrichtlichen Thematisierung reflektiert.
Dass die Vermittlung der EU gerade für schwer zu erreichende Zielgruppen herausfordernd ist, war Ausgangspunkt des Workshops von Onur Özgen und Dorsa Amirpur. Die Referent:innen stellten wenig genutzte, aber vielversprechende methodische Zugänge (Traum-Realitätsskala, SMS-Joker und Planspiele) für die EU-Vermittlung vor und erprobten diese mit den Teilnehmenden. Dieser Workshop wurde mit Unterstützung des Verstärker-Netzwerks der Bundeszentrale für politische Bildung angeboten.
Dr. Andreas Füchter stellte in seinem Workshop die Frage, inwiefern die Beschäftigung mit Krieg und Gewalt die politische Sozialisation junger Menschen prodemokratisch stärken kann. Um diese Frage in der Ambivalenz von relevanten Erkenntnissen, aber auch der Gefahr der Zukunftsskepsis und Politikskepsis zu bearbeiten, stellte er ein Lernarrangement vor, das den Schüler:innen eine reflexive Auseinandersetzung mit der existentiellen Grenzsituation Krieg ermöglicht.
Der Workshop „Völkerstrafrecht: Einblicke in seine Anwendung und Wahrnehmung“ befasste sich mit einem für die Oberstufe und in der Zusammenarbeit von Geschichts- und Politikunterricht relevanten Thema. Kristine Avram gab Einblicke in das Völkerstrafrecht, dessen Anwendung und Wahrnehmung sowie in das Weltrechtsprinzip. Anhand ihrer Forschung zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zum Völkerstrafrecht in Rumänien wurden fallbezogene Ansätze der Vermittlung diskutiert.
Der Hessische Politiklehrer:innentag wurde 2022 zum zweiten Mal und in Kooperation mit den Evangelischen Akademien Frankfurt/M. und Hofgeismar sowie der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung durchgeführt.
Eröffnungsvortrag
Prof. Dr. Johannes Varwick ist Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und war von 2019 bis 2021 Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u. a. in den Themenfeldern Internationale Beziehungen und europäische Politik, NATO und Vereinte Nationen sowie in der europäischen und deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Workshops
Dorsa Amirpur (Pronomen: sie/ihr) hat einen Bachelor in Soziologie und schreibt aktuell ihre Masterarbeit in Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung. Sie ist Community-Organizerin bei QT*IBIPOC Hamburg und führt hier Workshops und Veranstaltungen zum Thema Empowerment, Antirassismus und Queerness durch. In ihrer selbstständigen Arbeit hat sie sich auf die Beratung und Begleitung von Öffnungsprozessen in Organisationen und Unternehmen fokussiert.
Kristine Avram ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. im Themenfeld der Transnational Justice.
Prof. Dr. Christina Brüning ist Professorin für Didaktik der Geschichte an der Philipps-Universität Marburg. Zuvor war sie nach Studium und Referendariat in Berlin zunächst Studienrätin für Geschichte, Politik und Englisch. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. in der Holocaust Education und im historisch-politischen Lernen.
Dr. Andreas Füchter ist Lehrer, ist Fachleiter am Studienseminar für Gymnasien Heppenheim und Lehrbeauftragter an der TU Darmstadt. Er ist Autor mehrerer Schulbücher und fachdidaktischer Beiträge zum politischen Lernen.
Mona Klingenberg ist Studienrätin für die Fächer Politik, Wirtschaft und Französisch und akademische Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.
Philipp Klingler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Zuvor studierte er Deutsch und Politik/Wirtschaft für das gymnasiale Lehramt sowie Politikwissenschaft. Zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten gehören u. a. politische Europabildung und Demokratiebildung.
Onur Özgen ist als freiberuflicher Trainer und Speaker bundesweit und online im Bereich der Jugend- und Erwachsenenbildung für staatliche Einrichtungen, Vereine und Unternehmen tätig. Er ist unter anderem freier Referent bei Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. und bei Netzwerk Verstärker – der Bundeszentrale für politische Bildung.
Michael Sauer ist Studiendirektor an einem rheinland-pfälzischen Gymnasium und pädagogischer Mitarbeiter am Fachgebiet Fachdidaktik Sozialkunde an der TU Kaiserslautern. Er ist Autor mehrerer Schulbücher und Unterrichtsmaterialien zum Nahostkonflikt und Vorsitzender der DVPB Rheinland-Pfalz.
Paul Scheidt studiert Deutsch und Politische Bildung für das gymnasiale Lehramt an der Universität Potsdam. Darüber hinaus ist er wissenschaftliche Hilfskraft am Arbeitsbereich Inklusive Deutschdidaktik. Gegenwärtig arbeitet er an seiner Masterarbeit zum Zusammenhang von rassismuskritischer Bildung und Erziehung nach Ausschwitz in der Lehrer:innenbildung.
Fabian Welsch ist studentischer Mitarbeiter am Arbeitsbereich Didaktik der politischen Bildung an der Philipps-Universität Marburg. Er studiert die Fächer Deutsch, Deutsch als Zweit-/Fremdsprache und Politik/Wirtschaft für das gymnasiale Lehramt.