Rechtspopulistische und antidemokratische Akteure setzen die Gesellschaft zunehmend unter Druck. Es zeigt sich, dass ausgrenzende und antidemokratische Äußerungen bisweilen auf Resonanz stoßen. Die Folgen im Alltag sind Diskriminierung, menschenfeindliches Verhalten und das Erstarken von rechtspopulistischen Parteien in den Parlamenten. Gegen die Erosion demokratischer Werte und den damit einhergehenden Vertrauensverlusten in demokratische Institutionen stemmen sich Politik und Zivilgesellschaft mit Demokratiefördergesetzen, Demonstrationen und großem Engagement.
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Gesellschaftliche Krisen und Konfliktlagen werden auch in der Schule spürbar: Antisemitismus, Rassismus und andere Formen gruppen-bezogener Menschenfeindlichkeit, antidemokratische Verschwörungstheorien, rechtspopulistische Parolen und Diskriminierung fordern Lehrkräfte im Schulalltag und Unterricht heraus. Im Politikunterricht können und sollen diese Herausforderungen und Gefahren für die Demokratie analysiert und diskutiert werden. Darüber hinaus wird Schule als Ort gelebter demokratischer Werte verstanden und diskriminierendem Verhalten soll mit (demokratischer) Haltung begegnet werden.
Beim 14. Hessischen Politiklehrer:innentag am 12. September 2024 in der Evangelischen Akademie Frankfurt tauschten sich dazu über 100 Kolleg:innen aus ganz Hessen aus. Der Tag setzte sich aus zwei Vorträgen, sieben Workshops und einem Markt der Möglichkeiten zusammen. Auf dem Markt der Möglichkeiten konnten sich über den gesamten Tag hinweg Kolleg:innen über die Bildungs- und Beratungsangebote informieren: Mit der Bildungsinitative Ferhat Unvar, der Evangelischen Akademie Frankfurt mit ihren vielfältigen Projekten, der Stiftung Adam von Trott, der Gelben Hand und dem DemokratieWagen des Vereins mehr als wählen e. V. stellten etablierte Partner ihre Angebote für Schulen vor.
Mit einer Verhältnisbestimmung von Politischer Bildung und Extremismusprävention eröffnete Prof. Dr. Monika Oberle den Tag für über 100 Kolleg:innen aus ganz Hessen. In ihrem Vortrag wurde deutlich, welche Ausgangs- und Orientierungspunkte die Politische Bildung im Umgang mit demokratiefeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen hat: Anhand des Grundgesetzes, des Beutelsbacher Konsenses und empirischer Studien erläuterte Frau Oberle Spannungsfelder, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Politischer Bildung und Extremismusprävention.
Im Antisemitismus-Workshop von Tami Rickert (Bildungsstätte Anne Frank) und Annette Lorenz (Evangelische Akademie Frankfurt) wurden mit fachlicher und erwachsenenpädagogischer Expertise die Erfahrungen, Befürchtungen, Wünsche und Handlungsmöglichkeiten der Teilnehmenden benannt und besprochen. Ein großer gemeinsamer Punkt war, Antisemitismus und Ausgrenzung nicht unwidersprochen stehen zu lassen und auch präventiv eine Reflexionsebene mit Lerngruppen zu betreten: „Wir müssen reden!“
Im Workshop „Antiziganismus – ein Thema für Schule und Unterricht“ unter der Leitung von Ina Hammel (Verband Deutscher Sinti und Roma Hessen) ist allen Teilnehmenden bewusst geworden, wie diese spezifische Form des Rassismus nicht nur im Bildungsbereich immer noch vernachlässigt wird. Dass die Diskriminierung dieser Minderheit in Deutschland und Europa leider eine jahrhundertealte Tradition hat und durch Medien nach wie vor reproduziert wird, konnte anschaulich durch Bilder, Zitate und Textausschnitte herausgearbeitet werden. Ein kurzer Film, in dem Betroffene von ihren vielfältigen Diskriminierungserfahrungen berichteten, führte bei allen Teilnehmenden des Workshops zum Fazit, dass das Thema Antiziganismus verstärkt behandelt werden muss und ein sensiblerer Umgang mit antiziganistischem Rassismus notwendig ist.
Im Workshop „WortLOS! – gegen rechte Parolen“ von Ronja Lindenberg widmeten sich die Teilnehmenden dem Umgang mit Stammtischparolen im Schulalltag. Zunächst wurden Muster rechter Parolen sowie Herausforderungen im Umgang mit diesen vorgestellt. Anschließend erprobten die Teilnehmenden mit der Hilfe von szenisch inszenierten Fallbeispielen selbst konkrete Handlungsmöglichkeiten und -alternativen. Ziel des Rollenspiels war es, Argumentations- und Deeskalationsstrategien zu erlernen, zu erproben und so die Handlungssicherheit im alltäglichen Umgang mit rechten Parolen zu gewinnen.
Der Workshop von Prof. Dr. Rico Behrens und Stefan Breuer fokussierte alltägliche Erfahrungen mit antidemokratischen Äußerungen im Klassenzimmer. Die von Teilnehmenden eingebrachten Fälle wurden exemplarisch im Plenum vorgestellt und mithilfe der Methode der Toleranzgrenze diskutiert. Dabei konnte die Positionierung jederzeit angepasst werden, je nachdem. Einem Input zu antidemokratischen Haltungen in der Schule folgte eine Erarbeitung von Handlungsmöglichkeiten. Grundlage dafür waren authentische Fallbeispiele, die mithilfe von drei Leitfragen bearbeitet wurden: Was ist das Problem? Welche Fragen werden hier sichtbar? Und welche Handlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung? Der Workshop bot viel Raum für das Einbringen eigener Erfahrungen und für einen Austausch.
Mit einem Rollenspiel begann der Workshop „Von Coronawahn und Klimalüge: Verschwörungstheorien im Politikunterricht“ von Philipp Klingler, Maria Schneider und Fabian Welsch (Modellprojekt Starke Lehrer – starke Schüler, Universität Marburg). Während eine Gruppe von Teilnehmenden die skurrile Verschwörungstheorie um den öffentlichen Personennahverkehr verteidigte, versuchte die Gegenseite, sie zu entkräften. In einem Posterrundgang konnten die Teilnehmenden ihr Wissen zu Verschwörungstheorien und zu den Ursachen und Auswirkungen von Verschwörungsglauben vertiefen, bevor schließlich gemeinsam Methoden des Umgangs mit Verschwörungstheorien gesammelt, diskutiert und entlang ihrer Wirksamkeit und Zielgruppen systematisiert wurden.
Lenard Suermann gestaltete einen Workshop zum Umgang mit Verschwörungserzählungen in der beruflichen Bildung. Nachdem die Lehrkräfte von ihren Erfahrungen berichten konnten, wurde durch ein interaktives Quiz der Zugang zum Thema hergestellt. Dabei wurden nicht nur verschiedene Definitionen diskutiert, sondern auch Beratungsstellen und Hilfsangebote aufgezeigt. Zum Abschluss des Workshops tauschten sich die Teilnehmer:innnen anhand eines konkreten Falls zum Umgang mit Verschwörungserzählungen aus und sammelten Chancen und Möglichkeiten im Umgang mit Betroffenen, zeigten aber auch Gefahren und Risiken von verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auf.
Im Workshop „Politische Bildung als Schulprinzip – Chancen und Herausforderungen für Politiklehrer:innen“ stellte Dr. Bernt Gebauer die unterschiedlichen Praxisfelder schulischer politischer Bildung dar. Im Austausch mit den Teilnehmenden wurden eigene Rollen- und Zielvorstellungen der politischen Bildungspraxis reflektiert. Anhand von Fallbeispielen zu Konfliktsituationen positionierten sich die Teilnehmenden im Raum und kamen so über ihr Professions- und Rollenverständnis ins Gespräch.
Der Vortrag von Dr. Reiner Becker zu Demokratie und Demokratiefeindlichkeit in Hessen stellte den Abschluss des Tages dar. Reiner Becker rückte die Herausforderungen der Demokratie im Kontext gesellschaftlicher „Megatrends“ in den Mittelpunkt und erläuterte die zunehmende Bedrohung durch rechtsextreme Akteure. Als Leiter des Demokratiezentrums Hessen wies er auf den gestiegenen Bedarf an Bildungs- und Beratungsangeboten in Hessen als Indikator für eine herausfordernde Gesamtsituation für Schulen, aber auch Kommunen hin. Anschließend machte er nicht nur auf die Entwicklungen in Ostdeutschland aufmerksam und fragte nach den weiteren Entwicklungslinien in Hessen. Er plädierte auch dafür, jetzt für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit einzustehen – jetzt, wo es noch früh genug ist, eine tiefgehende Krise der Demokratie verhindern zu können.
Dr. Reiner Becker leitet das Demokratiezentrum Hessen im Beratungsnetzwerk Hessen an der Philipps-Universität Marburg. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit in Hessen.
Prof. Dr. Rico Behrens hat die Professur für Politische Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne. Er forscht und lehrt zu den Themen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Herausforderung für die politische Bildung sowie zum Demokratielernen. Als Supervisor und Moderator berät er Schulen und Bildungseinrichtungen.
Stefan Breuer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden und der KU Eichstätt-Ingolstadt. Zum Themenbereich Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit koordinierte er langjährig das sächsische Modellprojekt „Starke Lehrer – Starke Schüler“ und begleitet heute evaluierend weitere Projektstandorte. Seine Themenschwerpunkte umfassen Demokratiebildung, Digitale Spiele und politische Bildung.
Dr. Bernt Gebauer leitet das Projekt „Gewaltprävention und Demokratielernen“ (GuD) des Hessischen Ministeriums für Kultus und Bildung und koordiniert für die Kultusministerkonferenz die Bildungsprogramme des Europarates im Themenfeld Demokratiebildung im Rahmen des Education Policy Advisors Network (EPAN). Er promovierte 2003 in Vergleichender Regierungslehre an der Universität Freiburg im Breisgau und besitzt langjährige Erfahrungen in der Lehreraus- und -fortbildung unter anderem an Hochschulen und am Studienseminar für Gymnasien in Heppenheim.
Ina Hammel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma mit dem Themenschwerpunkt Aufklärungsarbeit, Bildung und Vermittlung. Lehrt an der TU Darmstadt im Bereich Pädagogik zum Thema Antiziganismus.
Philipp Klingler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philipps-Universität Marburg und koordiniert in dieser Funktion das Modellprojekt „Starke Lehrer – starke Schüler (Hessen)“. Er forscht zu Demokratiebildung, Digitalität und Europabildung. Seit 2019 ist er Beisitzer im hessischen Landesverband der DVPB.
Ronja Lindenberg ist seit 2015 Freiberuflerin in der außerschulischen politischen Bildung. Sie hat Politikwissenschaften in Marburg studiert und widmete sich bereits während des Studiums dem Bereich der außerschulischen politischen Bildung. Im Zuge des Erstarkens (rechter) Parolen während der „Flüchtlingskrise“ entwickelte sie das Argumentationstraining „WortLOS!“, welches sie seitdem in der Jugend- und Erwachsenenbildung im schulischen und außerschulischen Kontext durchführt. Des Weiteren befasst sie sich vor allem mit den Themen: Rechtsextremismus, Diskriminierung, Migration und Flucht, Interkulturelles Lernen, Europa und Europäische Union sowie Nachhaltigkeit.
Annette Lorenz ist arbeitet in der politischen Bildungsarbeit zu den Themen religiöse Vielfalt, Rassismus und Antisemitismus, darunter in der Bildungsstätte Anne Frank. Seit 2020 koordiniert sie an der Evangelischen Akademie Frankfurt das Projekt „Alles Glaubenssache? Prävention und politische Bildung in einer Gesellschaft der Diversität“.
Prof. Dr. Monika Oberle hat die Professur für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen u. a. in der empirischen Lehr-Lern-Forschung, der politischen Europabildung und der Demokratiebildung.
Alice Reitz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma mit dem Themenschwerpunkt Aufklärungsarbeit, Bildung und Vermittlung. Politische Bildnerin in der historisch-politischen Bildungsarbeit.
Tami Rickert ist Bildungsreferentin und Leitung des Projekts „Antisemitismusprävention an hessischen Schulen“ an der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.
Maria Schneider ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität Marburg und koordiniert in dieser Funktion das Modellprojekt „Starke Lehrer – starke Schüler (Hessen)“. Sie forscht zu Religion, Politik und politischer Bildung sowie zu Kompetenzen in der politischen Bildung. Seit 2019 ist sie Beisitzerin im hessischen Landesverband der DVPB.
Lenard Suermann ist Bildungsreferent der Gelben Hand und Projektmitarbeiter bei der Fachstelle für das Fachpersonal im „Kompetenznetzwerk Demokratieförderung in der beruflichen Bildung“.
Fabian Welsch hat die Unterrichtsfächer Deutsch, Deutsch als Zweit-/Fremdsprache sowie Politik/Wirtschaft studiert und forscht derzeit zum Politikunterricht in der Beruflichen Bildung. Zuvor war er studentischer Mitarbeiter im Modellprojekt „Starke Lehrer – starke Schüler (Hessen)“.